„Das ist genau wie damals“
Museumswohnung des Heimatbunds in der Janisch-Siedlung ist eingerichtet – Rüdiger Ring an der Stätte seiner Kindheit – Eröffnung im Frühjahr
Garching. Zugegeben, die Fenster sind neu – aber das ist auch schon alles. Ansonsten ist es den Mitgliedern des Heimatbunds vorbildlich gelungen, die Wohnung im ersten Stock des Hauses Turnstraße 1 in der Janisch-Siedlung in ihren Originalzustand „zurückzusanieren“. Etwa Mitte der 1920er Jahre ist die Siedlung errichtet worden als Arbeitersiedlung der damaligen SKW.
„Das ist wirklich pfundig, das ist genau wie damals.“ Der das sagt, ist Rüdiger Ring aus Garching – und er muss es wissen. Als Kind lebte er von etwa 1943 bis 1949 genau in dieser Wohnung. Aus dem Anzeiger hat er erfahren, dass der Heimatbund diese Wohnung gemietet hat und sie als Schauwohnung bzw. Museumswohnung rekonstruieren möchte, um Besuchern vor Augen zu führen, wie damals, von den 20er bis zu den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die Menschen lebten. Kurz nachdem er den Artikel gelesen hatte, war Rüdiger Ring erstmals wieder als Besucher in seinem Kindheitsdomizil.
Eine alte Chaiselongue, ein Küchenbuffet, Tisch und Stühle von damals – Rüdiger Ring fühlt sich in der Wohnung sofort zurückversetzt in seine Kindheit. Auch im Schlafzimmer mit Doppelbett, Schrank, Ofen und Kommode begegnet ihm alles so wie früher, wenngleich die Möbel nun etwas anders angeordnet sind.
Bei Bombenangriff verschüttet
Dabei hätte Rüdiger Ring damals sein Zuhause bei einem Bombenangriff fast verloren. Er stammt ursprünglich aus dem Haus der früheren Bäckerei Göbl, später Ranzinger. Nach dem Umzug in besagte Wohnung in der Turnstraße 1 ging Ring jeden Tag um 6.30 Uhr mit seiner Mutter zu der Bäckerei, wo die Mutter arbeitete. Von dort führte sein Weg um 8 Uhr zurück in die Schule am Janischplatz. Dann, am 19. März, dem Josefitag 1945, geschah es: Um 11.45 Uhr fielen Bomben auf das Ranzinger-Haus und machten es dem Erdboden gleich. Der damals sechsjährige Rüdiger wurde verschüttet. Nur mit ihren Händen grub ihn seine Mutter aus den Trümmern wieder aus, erinnert sich Rüdiger Ring heute noch genau. Ob ihre Wohnung in der vielleicht 700 Meter entfernten Janisch-Siedlung noch stand, wussten sie in dem Moment nicht. Die dichten Rauch- und Staubwolken nach dem Angriff hatten die gesamte Siedlung verhüllt, es war nichts mehr zu sehen.
Umso mehr freut es Rüdiger Ring heute, dass er die Wohnung wieder so erleben darf, wie sie damals war. „Wir haben großen Wert auf Detailgenauigkeit gelegt“, sagt Ortsheimatpfleger Helmut Meisl. Und das fällt dem Besucher auch sofort auf, wenn er die Räume betritt. Über dem Ofen in der Küche hängt an einer Wäschetrockenspinne ein selbstgehäkelter Badeanzug, unter der Nähmaschine stehen handgemachte nagelneue und noch nie getragene Schuhe von früher, neben dem Herd im Wohnraum liegt ein Kohlenkasten mit Schaufel, alle Steckdosen und Lichtschalter sind original Bakelit-Teile von damals, unterm Bett steht ein Nachttopf, auf der Matratze liegt eine kupferfarbene Wärmeflasche aus Metall und – Glanzpunkt der Detailverliebtheit – in der Toilette hängt an der Wand eine Drahtvorrichtung, an der zerschnittenes Zeitungspapier für einen eindeutigen Zweck aufgefädelt ist. Allein dieses Detail, das Helmut Meisl in einem Keller entdeckt hat, als Toilettenpapierhalter zu identifizieren, lässt einen nicht zu unterschätzenden heimatkundlich- detektivischen Spürsinn erkennen.
Im Kinderzimmer steht ein Bettstadl, das Helmut Meisl und seiner Schwester in ihren frühen Tagen selbst als Ruhestätte diente, und ein alter Ofen, den Meisl vor kurzem erst auf dem Dachboden der Siedlung entdeckt hat. Das Kinderzimmer hat der Heimatbund gewissermaßen einer doppelten Nutzung zugeführt, da hier außer der alten Einrichtung auch eine Bilderdokumentation über die Entstehung der Siedlung zu finden ist. Eine weitere Dokumentation über die Arbeitswelt in den 1920er bis 1950er Jahren soll bis zur Eröffnung der Wohnung im März oder April nächsten Jahres folgen.
Die Möbel in der Wohnung stammen zum großen Teil aus Privatspenden, das meiste davon von Sepp Scherm aus Garching. Die übrigen Ausstattungsdetails haben Helmut Meisl und seine Mitstreiter vom Heimatbund auf dem Dachboden und in den Kellern der Janisch-Siedlung entdeckt oder auf Flohmärkten erstanden. Was sie noch gut gebrauchen könnten und wo sie noch auf Spenden hoffen, weil das wohl mit am schwersten zu finden sein dürfte: Spielzeug aus den 1920er Jahren, mit dem das Kinderzimmer seinen letzten Schliff bekommen könnte.
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